Von Daniel Renggli und Jan Schoenmakers
Kaum ein Medium ohne mindestens einen Beitrag über künstliche Intelligenz – da wundert es nicht, dass sich unter den Lesern und Leserinnen eine KI-Müdigkeit breit macht. Doch können wir die sich überschlagenden Meldungen über Innovationen, Kooperationen, Regulierungen und andere Veränderungen im Bereich der künstlichen Intelligenz kaum ignorieren: Schließlich ist unter den Tech-Giganten und zahllosen innovativen Startups ein gewaltiges Rennen im Gang um das „Betriebssystem“ für die Wirtschaft von morgen.
Doch bei diesem Rennen bleiben etliche heiße Titelkandidaten außerhalb der Aufmerksamkeit: als ob man bei einer Formel-1-Übertragung immer nur die Autos von Mercedes zeigen würde, ist die mediale Aufmerksamkeit rund um KI beinahe völlig auf generative KI wie ChatGPT, Gemini, DALL.E, Midjourney oder Aleph Alpha gerichtet. Dabei handelt es sich bei dieser nur um eines der Werkzeuge im großen KI-Werkzeugkasten. Weitere wichtige Instrumente – und derzeit kaum beachtet – sind die analytische KI, die uns mit Vorhersagen und Modellierung zu schnelleren und fundierteren Entscheidungen verhilft, sowie die Robotic Process Automation (RPA), mit der wir etliche Prozesse von der Produktion bis zum Marketing vollständig automatisieren können.
Während generative KI mit GPT und Co. besonders sichtbare Sprünge gemacht hat und sich leicht und unterhaltsam ausprobieren lässt, um beispielsweise Texte, Bilder oder gar Landing Pages zu erstellen, sollten Unternehmen ihren Fokus weiten und das ganze Bild betrachten. Denn wenn es um Effizienzsteigerung, Risikominimierung oder Kundenzufriedenheit geht, liegen die anderen Arten von KI oftmals vorn. Und den größten Return on Investment erzielen Unternehmen mit einer geschickten Kombination von generativer KI, analytischer KI und RPA.
Hase & Igel, ein international ausgezeichnetes Startup im Bereich der Data Analytics mit analytischer KI, hat ein Modell entwickelt, wie die drei Arten der KI erfolgreich zusammenarbeiten können – hier aufgezeigt am Beispiel von Marketing und Vertrieb:
Analytische und generative KI im Verbund für Strategiefindung und passende Inhalte
Am Anfang steht die analytische KI als eine Art Navigationssystem, das uns den Weg zu einer erfolgversprechenden Marketing- und Vertriebsstrategie weist. Basis hierfür sind Daten zu Nachfrage, Wettbewerb und Umfeld, zusammen mit den eigenen (First-Party) Daten des Unternehmens.
Die Aufgabe der Analytischen KI ist dabei, die „wild“ erhobenen Daten z. B. aus dem Verbraucherverhalten oder Äußerungen im Netz, durch Integration und Strukturierung zu „zähmen“, darin die Zusammenhänge und Erfolgshebel zu erkennen und auf dieser Basis zuverlässige Prognosen für verschiedene Szenarien zu stellen. Im Gegensatz zu generativer KI, die auch schon mal halluziniert und nicht offenlegen kann, auf Basis welcher Daten und Überlegungen sie zu einem Schluss kommt, lässt sich analytische KI völlig «explainable» gestalten, also transparent und nachvollziehbar. Aussagen werden begründet und Quellen offengelegt. Auch fällt analytische KI nicht so schnell Klischees und Verzerrungen anheim, weil sie darauf trainiert ist, die Welt möglichst nüchtern zu sehen – statt möglichst unterhaltsam zu sein.
Die analytische KI liefert uns so belastbare Erkenntnisse zu Nachfrage-Trends, Präferenzen der Zielgruppen und darüber, welche Art von Content unsere Zielgruppen aktiviert. Mit diesen Ergebnissen können wir die generative KI wesentlich präziser instruieren („prompten“), damit sie die passenden Kommunikationsmittel mit den passenden Argumenten im passenden Stil erstellt. Somit kann sie passgenaue Werbemittel, Beschreibungen zu Produkten, personalisierte Landing Pages oder Antworten für einen Chatbot kreieren, und beschleunigt damit die Content-Produktion und senkt die Kosten in der Kreation.
Die generative KI kann auch schon in der Strategiephase unterstützen, z. B. mit einer Best Practice Anleitung zu den einzelnen Schritten, die es in einem Strategiepapier zu berücksichtigen gilt. Auf keinen Fall aber sollte man sich auf die generative KI verlassen, wenn es darum geht, strategische Entscheidungen zu treffen. Zu groß ist die Gefahr, dass man durch Halluzinationen dieser Art von KI fehlgeleitet wird.
Analytische KI – die Basis für Segmentierung, Targeting und Mediastrategie
Analytische KI dient Marketern aber auch als Basis für die Segmentierung, das Targeting und die Mediastrategie. So offenbaren analytische Algorithmen überprüfbar, welche verschiedenen Segmente es unter den Zielgruppen und Nutzern gibt und wie sich diese auf die gewünschte Zielvariable auswirken – zum Beispiel auf den Kauf eines Produktes, die Bewerbung auf eine Stelle oder die Begeisterung für einen Inhalt.
Haben wir mit dieser Transparenz die für uns im jeweiligen Kontext attraktiven Segmente identifiziert, gilt es, sie möglichst passgenau anzusprechen. Damit bewegen wir uns im Bereich des Targetings und der Ausgestaltung einer datengetriebenen Mediastrategie – also der Frage, wann wir auf welchem Kanal mit welchem Werbemittel wen wie oft ansprechen, on- und offline.
Die Kombination aus Big Data und analytischer KI macht mit Verhaltensdaten den Effekt von Werbung schnell und klar messbar – unabhängig von den Angaben der Vermarkter und auch für Kanäle oder physische Standorte, die als “untrackbar” gelten. Machine Learning zeigt die Muster – zum Beispiel durch eine Maßnahme zusätzlich erzieltes Produktinteresse, Umsatz-Uplift oder die Aktivierungswahrscheinlichkeit je Tag und Uhrzeit – und liefert ein Media Mix Modelling, das präzise auf die Ziele in den einzelnen Segmenten ausgerichtet ist. Statt auf bloßer Performance liegt der Fokus auf der Wirkung.
Robotische Prozessautomatisierung für Media Buying und Marketingautomation
Nun können wir die dritte Karte im KI-Blatt spielen, um unsere Arbeit noch wesentlich schneller und effizienter zu gestalten: Robotic Process Automation (RPA). Für ein Targeting-Modell und einen Mediaplan aus der analytischen KI sorgt diese zum Beispiel dafür, dass Werbeplätze aufgrund deren Verfügbarkeiten zu aktuell attraktiven Preisen (abhängig vom Bidding der Mitbewerber) automatisch gebucht werden, dynamische auf die jeweilige Zielgruppe angepasste Anzeigen zu Produkten – erstellt unter Zuhilfenahme generativer KI – automatisch ausgespielt werden, oder auf Webseiten, Landing Pages oder in E-Mails personalisierter Content passgenau erscheint. Dabei lässt sich im Sinne von A/B-Testing auch mit Varianten experimentieren, zum Beispiel indem man unterschiedliche Headlines, Grafiken oder Bilder testet. Die RPA sorgt in diesem Fall dafür, dass Budgets automatisch in Richtung der performanteren Variante alloziert werden.
RPA im Tandem mit analytischer KI sorgt aber auch dafür, dass Werbemails zum richtigen Zeitpunkt verschickt werden (Send-Time Optimization, Fatigue Analysis). Und dass wir beim Online Shopping dazu verleitet werden, noch etwas mehr zu bestellen – ein ähnliches Kleidungsstück, ein Buch der gleichen Autorin – oder uns einen weiteren Film anzusehen, der uns gefallen müsste (Next Best Offer). Durch die automatische Ausspielung entsprechender Inhalte kann RPA aber auch verhindern, dass Kunden abwandern (Churn), beispielsweise mithilfe einer passenden Promotion oder einem einmaligen Rabatt bei Vertragsverlängerung.
Das Tandem liefert Händlern aber auch offline gute Dienste. So gibt die KI Handlungsempfehlungen zur Sortimentsgestaltung, liefert Absatzprognosen und empfiehlt den optimalen Kanalmix. Aufgrund der Empfehlungen können hier ebenfalls automatisch Entscheidungen getroffen und Sortimente mittels RPA in entsprechenden Stückzahlen an die einzelnen Händler geliefert werden.
Darüber hinaus sorgt RPA natürlich auch im Back Office für viel Effizienz, zum Beispiel durch die Automatisierung in Einkauf und Disposition, optimale Lagerhaltung, kontinuierliche Kommunikation zu Lieferterminen, Versand oder Ausständen.
Die Kombination als Gamechanger für Unternehmen und Mitarbeitende
Unternehmen sollten sich durch den Hype um die generative KI nicht davon ablenken lassen, dass die Chancen, die sich durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz ergeben, viel umfassender sind und dass das größte Potenzial darin besteht, die unterschiedlichen Arten der KI zu kombinieren:
- Analytische KI identifiziert die Marktchancen auf Produkt-, Kanal-, Kunden-, Orts- und Zeitebene, liefert auf dieser Basis wertvolle Inputs für die Marketingstrategie, die Segmentierung und eine erfolgreiche Positionierung im Markt, und empfiehlt darüber hinaus den optimalen Marketing-Mix für die jeweiligen Zielgruppen.
- Generative KI erstellt für die erkannten Produkttrends, Erfolgstreiber, Zielgruppen und Formate überzeugende Text- und Bildinhalte für personalisierte Werbung, dynamische Webseiten oder „humane“ Chatbots.
- Robotic Process Automation (RPA) automatisiert mit den Kriterien und Empfehlungen der analytischen KI und den Inhalten der generativen KI die Geschäftsprozesse vom Einkauf über die Auftragsbearbeitung bis zu den Werbeschaltungen.
Bei all den erwähnten Anwendungsbeispielen fallen in der Umsetzungsphase wiederum eine Menge an Daten an. Zum Beispiel generieren digitale Kampagnen mit personalisierten Inhalten, die im A/B-Testing-Verfahren ausgespielt werden, viel mehr Daten als herkömmliche Kampagnen. Dies erschwert die Messung des Erfolgs. Mithilfe von analytischer KI können Unternehmen diese Daten siloübergreifend zusammenführen, die Muster darin erkennen und so besser verstehen, was funktioniert und was verbessert werden muss. Der EVO Optimizer von Hase & Igel verbindet beispielsweise alle Marketing- und Vertriebskanäle entlang des gesamten Funnels zu einem lernenden System, das die Performance von Produkten, Kanälen und Kampagnen realistisch bewertet – nicht nur aus der Innensicht, sondern auch im Abgleich mit Nachfrage, Wettbewerb und Umfeld. Damit lassen sich kontinuierlich sämtliche Maßnahmen optimieren und Budgets dorthin allozieren, wo der größte Return on Investment zu erwarten ist.
Der Einsatz von analytischer und generativer KI im Verbund mit RPA ist ein wahrer Gamechanger. Unternehmen wie auch Mitarbeitende, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, können es sich nicht länger leisten, ihre Aufmerksamkeit nur einem Teilaspekt der KI zu schenken.
Über die Autoren
Daniel Renggli ist Management Consultant mit einem Fokus auf Marketing und Customer Experience und einer Leidenschaft für KI-gestützte Automation in Marketing, Verkauf und Service. Er berät mittelständische Unternehmen auf strategischer und konzeptioneller Ebene bei der digitalen Transformation.
Daniel ist Partner von 123C Digital Consulting, einem Beratungsunternehmen mit Sitz in Berlin und Wien, und arbeitet zudem für Hase & Igel, einem deutschen Startup im Bereich KI-gestützter Entscheidungsintelligenz.
Begonnen hat Daniel seine Karriere bei IBM, zunächst als Systemingenieur und später als Account Manager. Danach war er rund 25 Jahre in Führungspositionen im Marketing oder Vertrieb bei globalen Playern wie Microsoft, Oracle, SAP und PwC tätig.
Daniel Renggli ist eidg. diplomierter Verkaufsleiter und verfügt über einen Master of Advanced Studies in Marketing und Business Development (Universität Basel). Er ist außerdem zertifizierter Design Thinker und Professional Scrum Master, schreibt regelmäßig Artikel für verschiedene Medien, spricht an Veranstaltungen und hat seinen eigenen Podcast zum Thema Customer Experience Management.
Jan Schoenmakers ist Gründer und Geschäftsführer von HASE & IGEL. Das „innovativste Tech-Unternehmen in DACH“ (Stevie Awards 2022, 2023 & 2024) bietet seit 2018 preisgekrönte Cloud-Softwarelösungen, die Entscheidern in Marketing und Vertrieb helfen, schneller und präziser zu handeln, indem sie KI-gestützt 1st-, 2nd- und 3rd-Party-Daten zusammenführen, Zusammenhänge und Trends darin offenlegen und Handlungsempfehlungen geben. Vor HASE & IGEL hat Jan bereits 3 weitere Unternehmen in den Bereichen eCommerce, Marketing und Consulting gegründet.
Vor seiner Zeit als Unternehmer hat Jan über 10 Jahre Kommunikation und Marketing gestaltet bei Unternehmen wie der EWE AG, nextpractice und Edelman Silicon Valley. Jan absolvierte seinen Magister in Medien, Politik und Wirtschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie das Certificate for Intercultural Coaching and Mediating for Business (CICM) an den Universitäten Jena, Cergy-Paris und Southeast Missouri State. Während Jan beruflich für datengetriebenes Business steht, brennt er privat für seine 5 Töchter, seine Band und klassische Autos.